Zwei formell gekleidete Männer mittleren Alters stehen nebeneinander und lächeln. Der eine trägt einen hellgrauen Anzug mit einem blauen Hemd, der andere einen dunklen Anzug mit weißem Hemd und Krawatte. Der Hintergrund ist schlicht und hell.
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Bürokratie am Scheideweg

Haben wir ein Problem mit überbordender Bürokratie und ihrem ungebremsten Wachstum? Darüber diskutieren Gerd Zuschnig, Obmann der Fachgruppe der gewerblichen Dienstleister in der WKO Steiermark, und Ronald Schindler, Direktor der Stadtwerke Leoben.

Zur Person
Ein Mann in einem dunklen Anzug und einer hellen Krawatte sitzt in einem Haus und spricht mit beiden Händen, während er gestikuliert. Er hat kurzes braunes Haar und einen ernsten Gesichtsausdruck. Im Hintergrund sind Regale und helle Wände zu sehen.
Ronald Schindler

Direktor Stadtwerke Leoben

Ein älterer Mann mit grauem Haar und Schnurrbart, der einen hellgrauen Blazer und ein blassblaues Hemd trägt, gestikuliert mit seiner rechten Hand, während er in einem Haus sitzt. Der Hintergrund ist leicht unscharf, mit gelben und grauen Tönen.
Gerd Zuschnig

Obmann Gewerbliche Dienstleister

Ronald Schindler:

Auf jeden Fall haben wir ein massives Thema mit Bürokratie. Und ich will es eingangs gleich pointiert und auch ein bisschen paradox formulieren: Es erfüllt mich mittlerweile jedes Mal mit Sorge, wenn wieder einmal von einer Verwaltungsreform die Rede ist, mit dem kolportierten Ziel, die Bürokratie in den Griff zu bekommen oder sogar abzubauen. Denn das Einzige, was wirklich fix ist, ist, dass damit wieder neuer bürokratischer Aufwand auf uns zukommt. Es gleicht einem Teufelskreis: Jede Maßnahme – und selbst, wenn sie dazu dienen soll, bürokratische Lasten zu reduzieren – bringt wieder zusätzlichen bürokratische Aufwand mit sich. Jede Steuerungs- und Förderungsmaßnahme, wie begründet sie im Einzelnen auch immer sein mag, führt auf der anderen Seite zu bürokratiebedingter Mehrarbeit.

Gerd Zuschnig:

Wir alle spüren es Tag für Tag, ob als Unternehmerinnen und Unternehmer, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter oder Bürgerinnen und Bürger: Die Bürokratie hat ein Ausmaß erreicht, das wir nur mehr als belastend und lähmend empfinden können. Und das sich zudem als Wachstums- und Wohlstandsbremse erweist. Bürokratie, die eigentlich dazu da sein sollte, die Menschen zu unterstützen und unser gesellschaftliches Zusammenleben weiterzuentwickeln, ist mittlerweile oft zum Selbstzweck geworden. Wenn ich mir zum Beispiel nur unsere EU-Förderprojekte ansehe. Da türmen sich Formulare und Antragserfordernisse auf, gefolgt von Kaskaden von Prüfungen – Level 1, Level 2 usw. Wenn wir Projekte gemeinsam mit Slowenien und Ungarn abwickeln: Am längsten brauchen wir Österreicher, bis wir so weit sind. Warum? Weil wir den größten bürokratischen Aufwand haben. Weil wir es hier in Österreich mit den EU-Vorgaben eben ganz besonders genau nehmen, sie häufig übererfüllen und noch mit weiteren Regeln „veredeln“.

Schindler:

Anträge und Dokumentationen füllen mittlerweile nicht mehr bloß Schränke, sondern ganze Räume und Stockwerke. Immer mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen immer mehr Arbeitszeit dafür verwenden, diese Antrags- und Dokumentationspflichten abzuarbeiten. Zeit und Ressourcen, die dann bei unseren eigentlichen, den produktiven Tätigkeiten abgehen.

Zuschnig:

Immer mehr Aufwand für die Bürokratie und immer weniger Zeit fürs produktive Business, fürs Kerngeschäft, für die Kundinnen und Kunden, für neue Innovation etc. – Bürokratie kostet nicht nur Nerven, sondern auch Geld, den Unternehmen genauso wie uns allen. Überbordende Bürokratie hemmt Innovation und Wachstum, weil die Menschen in den Unternehmen ihre Zeit mit dem Bearbeiten von Formularen und Vorgaben verschwenden, statt sich über neue Ideen Gedanken zu machen.

Schindler:

Das ist der Punkt. Die Frage lautet: Wie viele unserer Tätigkeiten sind noch wertschöpfend? Wir haben einen Punkt erreicht, wo wir uns eingestehen müssen, dass die Bürokratie zulasten unserer Wettbewerbsfähigkeit geht. Die Wertschöpfung geht zurück und unsere Produktivität sinkt. Wir haben heute eine Produktivität, die etwa der von 2009 entspricht. Die Lohnstückkosten sind enorm gestiegen. Und das in einem generell sehr fordernden Wettbewerbsumfeld.

Zuschnig:

Wir verlieren derzeit im internationalen Wettbewerb massiv an Boden und drohen ins Hintertreffen zu geraten – und eine der hausgemachten Ursachen dafür ist unser bürokratischer Overload. Das trifft nicht nur kleine und mittlere Unternehmen, die einfach nicht über die Ressourcen verfügen, um eigene Rechts- und Verwaltungsabteilungen zu unterhalten. Auch größere Unternehmen und selbst Konzerne werden in ihrer Entwicklung gehemmt. Es geht in vergleichbaren anderen Ländern einfach viel schneller als bei uns, ein Projekt an den Start zu bringen – ein gravierender wirtschaftlicher Nachteil.

Schindler:

Damit keine Missverständnisse aufkommen: Wir brauchen eine handlungsfähige, gut funktionierende Verwaltung, um uns als Gesellschaft und Gemeinwesen für alle fair und lebenswert erhalten und weiterentwickeln zu können. Davon bin ich überzeugt. Ein Zuviel an Bürokratie kann jedoch genau den gegenteiligen Effekt bewirken und die Grundlagen unseres Wohlstands und unseres Zusammenhalts gefährden. Als Vielspartenunternehmen sehen wir uns laufend mit einer Vielzahl von bürokratischen Erfordernissen konfrontiert. Nicht immer ist deren Sinn nachvollziehbar. Nur ein Beispiel: Das Straßenfahrzeug-Beschaffungsgesetz verpflichtet uns, für den öffentlichen Busverkehr E-Fahrzeuge anzuschaffen. Bei den eigens dafür aufgelegten Förderprogrammen müssen wir in der Folge aber die Notwendigkeit der Anschaffung der dazu notwendigen deutlich leistungsstärkeren Trafos begründen. Und so verhält es sich in vielen Bereichen. Besonders komplex ist die Situation etwa auf dem Strommarkt. Laufend neue regulatorische Eingriffe bringen uns dem Ziel eines offenen, ökologisch nachhaltigen und funktionierenden Strommarktes nicht näher, im Gegenteil. Ehrlich gesagt sehe ich derzeit kein Tool, mit dem wir dieser Eigendynamik entkommen könnten. Viele Versuche des Bürokratieabbaus bleiben Stückwerk und führen oft zu noch mehr Aufwand. Faktum aber ist: Wir müssen etwas tun. Aus heutiger Sicht wäre uns schon geholfen, wenn etwa bei Genehmigungsverfahren bereits zu Projektstart alle Erfordernisse gesichert auf dem Tisch lägen und nicht im Verfahrensverlauf immer wieder neue Hürden auftauchen würden.

Zuschnig:

Rezepte und Vorschläge liegen auf dem Tisch: One-Stop-Shop – aber ohne Endlosstopps; Digitalisierung, Sunset-Klauseln, also automatisches Auslaufen von Regeln, die sich nicht bewähren; Vereinfachung und Abbau von Vorschriften, (Wieder-)Einführung von Bagatellgrenzen. Die Verwaltung muss für die Menschen arbeiten, nicht umgekehrt – Punkt!

Dienstleister-Tisch

Im Dienste von Unternehmen und Wirtschaft: Die gewerblichen Dienstleister repräsentieren zahlreiche besonders wirtschaftsaffine Berufsgruppen. Obmann der Fachgruppe der gewerblichen Dienstleister in der WKO Steiermark ist KR Gerd Zuschnig. In dieser Talk-Serie beleuchten namhafte Berufsgruppenvertreter und Experten die aktuelle Lage.

Diesmal am Dienstleister-Tisch: KR Gerd Zuschnig, Unternehmer (Freiraum GmbH & Co KG) und Obmann der Fachgruppe der gewerblichen Dienstleister in der WKO Steiermark, sowie Ronald Schindler, Direktor der Stadtwerke Leoben

www.dienstleister-stmk.at
www.stadtwerke-leoben.at
www.freiraum.at

Fotos: Oliver Wolf

In Kooperation mit der WKO Steiermark – FG Gewerbliche Dienstleister

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