Eine Frau in schwarzem Kleid und Blazer steht im Freien, lächelt und lehnt sich an ein Metallgeländer, im Hintergrund sind moderne Glasgebäude zu sehen.
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Frischluft-Kur für den Darm

Spitzenforschung an der Medizinischen Universität Graz: Christine Moissl-Eichinger vom Diagnostik- und Forschungsinstitut für Hygiene, Mikrobiologie und Umweltmedizin erhielt kürzlich den mit 2,5 Millionen Euro dotierten ERC Advanced Grant des Europäischen Forschungsrates: Ziel ist es, Mikroorganismen im menschlichen und tierischen Darm gezielt zu beeinflussen, um Klimaschutz und Darmgesundheit zu fördern.

Das Mikrobiom – was ist das eigentlich und warum ist es für den Körper so wichtig?

Mikrobiome sind die Gemeinschaft aller Mikroorganismen, die in einem bestimmten Körperbereich vorkommen. Das Bekannteste ist sicher das Darmmikrobiom: Es unterstützt die Verdauung maßgeblich und produziert lebensnotwendige Substanzen wie Vitamine oder kurzkettige Fettsäuren, die extrem wichtig sind für die Ernährung unserer Körperzellen. Zudem reguliert und „trainiert“ das Mikrobiom unser Immunsystem, während es auf der Haut hilft, den niedrigen PH-Wert aufrechtzuerhalten. Ohne Mikrobiom könnten wir vielleicht überleben, aber es würde uns sehr, sehr schlecht gehen dabei – ein Helfer, ohne den es eigentlich nicht geht.

Die medizinische Forschung am Mikrobiom zielt darauf ab, es zu regulieren bzw. bestimmte
Funktionen für bessere Leistung zu verändern?

Ja. Es ist das große Ziel in der Medizin, das Mikrobiom zu beeinflussen. Das stellt sich als unglaublich schwer heraus, weil es so extrem komplex ist: Wir sprechen von Tausenden von Mikroorganismen verschiedenster Art, die noch dazu hochpersonalisiert sind – das heißt, jeder von uns hat seine ganz individuelle Konstellation. Allein von außen zu beurteilen, wie gut ein Mikrobiom funktioniert, stellt eine große Hürde dar. In den letzten Jahren entwickelte man viele neue Methoden, um Voraussagen über bestimmte Mikroben treffen zu können, aber die Erkenntnisse in medizinische Aktivität überzuleiten, ist immer noch nicht so einfach, wie es Laien vielleicht erscheint. Medikamente oder Zugaben funktionieren nur differenziert und auf individualisierter Basis.

Sie haben kürzlich kräftigen Rückenwind erhalten: Durch den ERC Advanced Grant des Europäischen Forschungsrats, der Ihre Forschung die nächsten fünf Jahre mit 2,5 Millionen Euro fördert. Was untersuchen Sie im ausgezeichneten Projekt?

Wir beschäftigen uns im Projekt ARCH-METH mit Archaeen, das sind spezielle Mikroorganismen, die weder Bakterien noch Viren sind, sondern etwas dazwischen. Sie bilden eine eigene und sehr wichtige Domäne des Lebens in Mensch und Tier und sind dennoch total unerforscht. Wir schauen also in eine echte wissenschaftliche Blackbox, und das macht die Arbeit unheimlich spannend.

Eine Frau in schwarzem Kleid und weißem Laborkittel geht bei hellem Tageslicht selbstbewusst vor einem modernen Gebäude mit großen Fenstern und geometrischen Strukturen entlang.
Weltneuheit: Moissl-Eichinger und Team sind die international die ersten Forscher, die Archaeen untersuchen.

Was könnte die Erforschung der Archaeen denn Nützliches hervorbringen?

Sie sind zuständig für die Methanproduktion im Körper, und hier sind wir mitten in einem brandaktuellen Thema, wenn Sie an die Diskussion um Rinderzucht und den Klimawandel denken. Archaeen wandeln Abbauprodukte von Darmbakterien in Methan um, das über die Atmung und Blähungen den Körper verlässt. Die Mikroorganismen sitzen also in einer Schlüsselposition ganz am Ende der Nährstoffkette. Wenn wir verstehen, in welcher Form sie mit Bakterien kommunizieren, welche Eigenschaften sie im Detail besitzen und wie genau ihre Stoffwechselprodukte ausschauen, dann können wir die Mikrobiome des Menschen gesünder machen oder bei Rindern den Methanausstoß gezielt reduzieren.

Indem man ganz einfach die Anzahl der Archaeen im Darm verringert?

Jein. Bei Kühen ist es tatsächlich ein Ansatz, beispielsweise den Darmbakterien zu effektiverer Arbeit zu verhelfen, die Archaeen zu reduzieren und so die Methanproduktion zu drosseln. Beim Menschen hingegen stellt sich die Situation ganz anders dar: Diejenigen, die sehr viel Methanogene in sich tragen, sind eher gesund, verfügen über ein höheres Wohlgefühl, haben einen niedrigeren BMI, leben länger usw. Aber es wird noch komplizierter: Das Vorkommen von Archaeen im menschlichen Körper muss ausbalanciert sein. Treten sie an lokalen Stellen in Ansammlungen auf, kann das etwa Zahnfleischentzündungen oder schwere Erkrankungen wie Dickdarmkrebs verursachen. Es geht also immer um dieses filigrane Gleichgewicht: Zu viel von irgendwas ist schlecht, zu wenig auch. Das macht die Komplexität der Forschungsaufgaben für Außenstehende vielleicht besser verständlich.

Sie haben in den letzten 11 Jahren nicht nur gewaltiges Know-how, sondern auch eine spitzentechnologische Forschungsumgebung und ein hochkarätiges Team an der Med Uni Graz mitaufgebaut.

Ja, mit sehr viel Leidenschaft, Mühe und tollen Menschen. Die Krönung ist jetzt dieser Grant. Dass die Med Uni „Mikrobiom und Infektion“ zu einem von fünf Forschungsfeldern ausgerufen hat, zeigt das Commitment der Universität, unsere Arbeit zu unterstützen. Wir verfügen mittlerweile über eine hervorragende Infrastruktur inklusive Analyse-Pipelines und Bioinformatik, können Mikroben beispielsweise unter Sauerstoffabschluss kultivieren, das ist sehr aufwendig. Inzwischen arbeiten an der Med Uni über 80 Personen auf diesem Gebiet, rund 22 künftig in meinem Team, die meisten sind Naturwissenschafterinnen, aber auch Mediziner und Bioinformatiker. Das ermöglicht uns Forschungstätigkeit an der Weltspitze. Wir springen täglich über Hürden und jedes Experiment bringt brandneue Erkenntnisse hervor, zu denen davor noch niemand gelangt ist. Diese Faszination treibt uns alle an.

„Mit jedem Experiment gewinnen wir brandneue Erkenntnisse, zu denen davor noch niemand gelangt ist. Diese Faszination treibt uns alle an.“

Christine Moissl-Eichinger
Med Uni Graz

Eine naive Frage zum Schluss: Wenn Sie in Ihrem Wissenschaftsalltag so viel über die Funktionsweise des Darms lernen, beeinflusst das die Art und Weise, was und wie Sie selbst täglich essen?

Ja, klar! Wobei Darmgesundheit als Gesundheitsvorsorge ja bereits öffentlich wahrgenommen und diskutiert wird. Begriffe wie Probiotika und Präbiotika sind vielen Menschen bekannt, wobei wir hier auch wieder stark differenzieren müssen: Probiotika funktionieren in den ersten Lebensjahren gut, zum Beispiel bei Frühgeborenen zum Aufbau eines eigenen Mikrobioms oder bei kindlichen Durchfallerkrankungen. Erwachsene haben klassische probiotische Bakterien – meist sind es Bifidobakterien oder Lactobacillen – nicht mehr im Darm. Gesunde Menschen haben prinzipiell ein komplexes Mikrobiom, das alle Nischen ausfüllt. Das können Sie sich wie ein individuelles Puzzle vorstellen – da passen alle Teile zusammen, und nur wenn irgendwo eine Lücke ist, das heißt, ein Puzzleteilchen fehlt, kann man versuchen, mit Probiotika Funktionen dazuzufügen. Es bring also wenig, ungezielt neue Mikroorganismen in das bestehende, gesunde Mikrobiom dazuzugeben.

Gibt es irgendetwas, das Sie dennoch uneingeschränkt empfehlen können?

Auf meiner letzten Fachkonferenz in Heidelberg sprachen wir viel über die positive Wirkung von Präbiotika, also Ballaststoffen: Sie liefern das Futter für die eigenen Mikroorganismen, und aus diesem Futter machen unsere eigenen Bakterien dann perfekte Nahrung für uns. Es gibt laufend neue Erkenntnisse wie zum Beispiel, dass die ausreichende Aufnahme von Ballaststoffen sogar den Blutdruck senken kann. Die WHO empfiehlt täglich mindestens 25g Gramm Ballaststoffe, das entspräche über 10 Äpfeln, das ist natürlich mit Äpfeln kaum zu schaffen. Nur 15 Prozent der Bevölkerung schafft diese Ballaststoffmenge überhaupt und wenn, dann sind es hauptsächlich Veganer. Natürliche Präbiotika finden wir in Gemüse, Getreide, Haferflocken oder Nüssen. Am besten wenig verarbeitet, da muss ich mir sozusagen aus den Originalzutaten etwas basteln – aber ein vielfältiges Müsli am Morgen macht schon einmal einen guten Anfang! Ein anderer Aspekt sind fermentierte Lebensmittel. Wenn man sich damit näher beschäftigt und etwa Produkte selbst fermentiert, macht es aber richtig viel Spaß. Und schmeckt auch hervorragend!

Christine Moissl-Eichinger

  • geboren 1976 in Kröning/ Niederbayern
  • Studium der Mikrobiologie am Archaeenzentrum an der Universität Regensburg
  • Promotion 2005 (inkl. Patent über mikrobielles Nanowerkzeug mit Doktorvater Robert Huber)
  • Postdoc an Universitätsklinik Regensburg danach Caltech/NASA Jet Propulsion Laboratory in Kalifornien.
  • 2007 – 2014 Arbeitsgruppenleiterin am Lehrstuhl für Mikrobiologie und Archaeenzentrum in Regensburg
  • Habilitation 2014
  • seit 2014 Universitätsprofessorin für „Interaktive Mikrobiomforschung“ an der Medizinischen Universität Graz; u. a. Leitung des Zentrums für Mikrobiomforschung – heute „Mikrobiom und Infektion“, eines von fünf Forschungsfeldern der Med Uni Graz
  • seit 2023 wissenschaftliche Co-Direktorin des FWF Cluster of Excellence „Microbiomes drive Planetary Health“
  • seit 2025 Direktorin von BioTechMed, einer Forschungskooperation dreier Universitäten in Graz
  • verheiratet, zwei Kinder

ERC Advanced Grants

  • Mit den ERC Advanced Grants fördert der Europäische Forschungsrat exzellente, etablierte Wissenschafterinnen und Wissenschafter, die mit visionären Projekten neue Forschungsfelder erschließen.
  • Die Auswahl erfolgt ausschließlich auf Basis wissenschaftlicher Exzellenz, Innovationskraft und internationaler Sichtbarkeit.

Fotos: Med Uni Graz

Banner mit dem Text "trinkvergnügen" und "Über 450 Weine & Champagner einfach online bestellen." Rechts zeigt ein Foto zwei Gläser Rotwein auf einem Holztisch im Freien bei Sonnenuntergang.