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Mercosur als Chance

Standort auf dem Prüfstand: Neue Märkte zu erschließen, sei angesichts der multiplen geopolitischen und wirtschaftlichen Krisenszenarien ein Gebot der Stunde, vor allem für einen exportorientierten Wirtschaftsstandort wie die Steiermark, erhebt der Präsident der Industriellenvereinigung Steiermark, Kurt Maier, seine Stimme für eine Unterzeichnung des von der EU-Kommission ausgehandelten Mercosur-Abkommens.

Herr Präsident, wie bewerten Sie den Umstand, dass sich, abgesehen von Neos, alle im österreichischen Nationalrat vertretenen Parteien entweder gegen oder nicht dezidiert für eine Bestätigung des von der Europäischen Kommission im Auftrag der EU-Mitgliedsstaaten ausgehandelten Mercosur-Abkommens aussprechen?

Kurt Maier: Ich kann die Gründe dafür offen gesagt nicht nachvollziehen. Ein erheblicher Teil unseres Wohlstands und unserer Lebensqualität beruht darauf, dass unsere Unternehmen ihre Produkte und Dienstleistungen erfolgreich auf internationalen Märkten platzieren. Wir befinden uns heute in einer Phase dramatischer geopolitischer Veränderungen mit Krisen, Kriegen sowie hybriden Machtdemonstrationen, die auch massive Auswirkungen auf die internationale Wirtschaftstätigkeit und unsere Möglichkeiten auf den Märkten haben. Weitere Hürden erreichen uns in immer kürzeren Intervallen. Zudem verliert Österreich laufend weltweit Marktanteile. Gerade unter diesen Voraussetzungen gälte es, neue Märkte als weitere Standbeine zu erschließen und uns international noch breiter aufzustellen, um nicht in wirtschaftliche Abhängigkeiten zu geraten. Ein solches Standbein wäre der Mercosur-Markt – und er ist es heute schon.

Inwiefern?


Österreichische Exporte in Mercosur-Staaten belaufen sich heute schon auf knapp zwei Milliarden Euro. Unsere Unternehmen haben dort bereits bisher über zwei Milliarden Euro investiert, um sich schlagkräftig zu positionieren. Rund 1.400 österreichische Unternehmen sind in diesem Markt tätig und der EU-Handel mit dem Mercosur-Raum sichert in Österreich rund 32.000 Arbeitsplätze. Studien gehen für den Fall einer erfolgreichen Umsetzung des Mercosur-Abkommens von einem Anstieg der Exporte in diese Länder um fast 40 Prozent aus. Mittel- und langfristig ist das Potenzial sicher noch erheblich größer. Es geht aber nicht nur um die Absatzmärkte. Ein Abkommen würde uns auch besseren Zugang zu kritischen Rohstoffen, etwa Seltenen Erden, und anderen wichtigen Komponenten sichern und damit die Lieferkettensicherheit unserer produzierenden Industrie erhöhen. Ein ganz entscheidendes Thema angesichts der aktuellen weltpolitischen Lage mit ihren Auswirkungen auf die Lieferketten.

Ein Mann in einem blauen Anzug sitzt an einem Tisch mit einem Glas Wasser und einer Tasse und gestikuliert mit seinen Händen, während er spricht. Im Hintergrund sind helle Vorhänge zu sehen.
Kurt Maier ist seit 2024 Präsident der Industriellenvereinigung Steiermark. Der promovierte Wirtschaftsingenieur (TU Graz) wechselte nach Stationen im Automotivbereich 2005 in die Zellstoff- und Papierindustrie. Von 2005 bis 2006 war er CFO und ab 2006 bis 2016 CEO der Zellstoff Pöls AG. Von 2016 bis 2022 fungierte er als CEO der Heinzel Group und von 2022 bis 2024 deren COO. Heute ist er u. a. als Aufsichtsratsvorsitzender der Zellstoff Pöls AG tätig.

Ist das Mercosur-Abkommen mehr als ein verzweifelter Rettungsversuch in einer für Europa und damit auch Österreich und die Steiermark zunehmend schwieriger werdenden Situation?

Mercosur ist ein strategisches Projekt, das Europa und seiner Wirtschaft langfristige Erfolgs- und Wachstumschancen sichert, auf der anderen Seite aber auch den Mercosur-Staaten nachhaltige Entwicklungschancen bietet und somit zu Stabilität, Sicherheit und Wohlstand beiträgt. Für Österreich ist Mercosur ein kostenloser Konjunkturimpuls.

Können Sie den Argumenten der Mercosur-Gegner – insbesondere Klimaschutz und Bedrohung der heimischen Landwirtschaft – gar nichts abgewinnen?

Gerade das Mercosur-Abkommen würde dazu führen, dass Klimaschutzabkommen und europäische Standards international viel besser ausgerollt werden können. Ich sehe in Mercosur auch eine Riesenchance Richtung Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Im Abkommen sind klare Regeln vorgesehen, wie etwa die Einhaltung der Pariser Klimaziele. Zudem erleichtert das Abkommen den Bezug kritischer Rohstoffe aus Mercosur, die wir dringend für die grüne Transformation brauchen und bei denen wir aktuell einseitige Abhängigkeiten von Asien haben. Auch sehen Studien insbesondere Exportchancen im Bereich der Umwelttechnologien für Europa – ein Segment, in dem Österreich viel Expertise hat. Und was die Landwirtschaft betrifft: Das vereinbarte zollreduzierte Kontingent für Rindfleischimporte aus Mercosur in die EU würde lediglich 1,5 Prozent der europäischen Produktion in diesem Segment betreffen. Darüber hinaus wurden viele weitere Sicherheitsmechanismen für die Landwirtschaft in den vergangenen Jahren nachträglich geschaffen. Jetzt gilt es, die Chancen zu nutzen und zuzustimmen. Für mich ist diese Polemik sachlich nicht nachvollziehbar und erinnert an die Drohkulissen, die einst beim Wirtschaftsabkommen CETA mit Kanada und beim Transatlantischen Freihandelsabkommen (TTIP) aufgebaut wurden.

Sehen Sie noch Chancen, dass sich in Österreich doch noch eine parlamentarische Mehrheit für das Abkommen findet?

Ich bin nach wie vor zuversichtlich, dass die betont sachlichen Argumentationslinien von Industrie und Wirtschaft dazu beitragen werden, letzten Endes Vernunft einkehren zu lassen. Dabei geht es aber nicht nur um ein Ja zum Mercosur-Abkommen, sondern um ein Commitment zu Österreich und der Steiermark als Industrie- und Produktionsstandort in einer grundsätzlich sehr angespannten Lage. Das fehlt mir in vielen Bereichen. Es sollte allen bewusst sein, was Industrie und Produktion im Land für unseren Wohlstand bedeuten. Und was es heißen würde, wenn dieses Wohlstandsfundament zu bröckeln beginnt.

Aber aktuelle Prognosen zeigen sich doch zuversichtlich, dass es mit der Wirtschaft wieder aufwärts geht.

Was die Stimmung in der Industrie angeht, zeichnen unsere aktuellen Daten leider ein anderes Bild. Bereits eine Studie aus der ersten Jahreshälfte hat aufgezeigt, dass Investitionen zur Kapazitätsausweitung, die vor ein paar Jahren noch einen Anteil von ca. 30 Prozent hatten, mittlerweile auf fünf Prozent geschrumpft sind. Das heißt: Fast alles, was investiert wird, dient nur mehr dem Erhalt des Bestehenden. In neue Produktionen wird so gut wie nichts mehr investiert. Im Jahr 2024 sind die Investitionen real sogar um fast 10 Prozent zurückgegangen. Das ist ein Alarmzeichen und absolut bedrohlich.

Abgesehen von den geopolitischen Verwerfungen, woran liegt es, dass die heimische Industrie nicht so richtig aus der Krise zu kommen scheint?

Es ist ein problematischer, teilweise hausgemachter Mix, der uns, verstärkt durch die internationale Lage, in einem Negativtrend zu halten droht – wenn wir nicht rasch und konsequent gegensteuern. Die in den letzten Jahren deutlich über Inflation gestiegenen Löhne, die im internationalen Vergleich enormen Energiekosten, das wiederholte Gold-Plating bei der Umsetzung von EU-Richtlinien, die ausufernde Bürokratie mit häufig extremen Verfahrensdauern und der daraus resultierenden fehlenden Planungssicherheit: Wir sind derzeit in mehrfacher Hinsicht international nicht mehr konkurrenzfähig.

Wie kommen wir da wieder raus?

Um international konkurrenzfähig zu sein, benötigen wir rasche Verfahren und Planungssicherheit: Es kann nicht sein, dass wir zwei, drei Jahre brauchen, um die Genehmigung für eine Investition zu bekommen, die dann in fünf Jahren wirksam wird. Zuletzt gab es auf allen Ebenen – vom Land Steiermark bis zur EU, Stichwort Omnibus-Initiative – Signale und Anzeichen, dass der Ernst der Lage erkannt wurde. Jetzt geht es darum, bürokratische Hürden auch tatsächlich abzubauen. Bei den aktuellen Lohnverhandlungen wurde der Automatismus, über der Inflationsrate abzuschließen, durchbrochen. Das sind erste Schritte. Die Energiekosten halten uns weiterhin auf Trab. Ein weiteres Thema: der anhaltendende Fachkräftemangel. Unsere Studien zeigen, dass uns bis 2029 bis zu 58.000 Arbeitskräfte fehlen werden.

Wie hängt das alles nun mit dem Mercosur-Abkommen zusammen?

Wir sind ein exportintensiver Standort. Es war immer der Export, der uns stark gemacht und aus Krisen herausgeführt hat und von dem wir überproportional profitieren konnten. Und unser Wohlstand wird auch weiterhin zu einem erheblichen Teil von unseren Exporterfolgen abhängen. Mit Mercosur liegt in einer für Europa sehr schwierigen Situation ein über viele Jahre ausverhandeltes, hieb- und stichfestes Abkommen auf dem Tisch, das mit einer Bevölkerung von rund 700 Millionen Menschen die größte Freihandelszone der Welt schaffen würde. Man müsste es nur unterschreiben.

INFO

  • 91 % der Zölle für europäische Exporte in den Mercosur-Raum würden im Laufe einer Übergangszeit von 15 Jahren aufgehoben.
  • 1.400 österreichische Unternehmen sind im Mercosur-Raum aktiv, davon mehr als 260 mit Niederlassung oder Produktion.
  • 120.000 Beschäftigte in der steirischen Industrie
  • Ca. 75 % der in steirischen Industrie hergestellten Produkte und Waren gehen in den Export, davon knapp 47 % nach Deutschland.
  • Mit über 30.000 Beschäftigten ist Fahrzeug- und Maschinenbau der bedeutendste Industriearbeitgeber in der Steiermark, gefolgt von Metallerzeugung und -bearbeitung (knapp 23.000) und Elektrotechnik und Elektronik (ca. 11.500).
  • 75 % der steirischen Gesamtausgaben für F&E kommen aus der Industrie.
  • Das sind 2,45 Milliarden Euro.
  • 19 % der österreichischen MINT-Studienab­schlüsse werden in der Steiermark gemacht.

 

Julia Aichhorn
Dr. Aichhorn Gruppe

„Der Zugang zu Kunden in aller Welt ist für uns als Unternehmen entscheidend Handelshemmnisse sind dabei eine unnötige Wachstumsbremse. Österreich ist also nicht in der Position sich neuen Märkten zu verschließen. Mit dem Handelsabkommen Mercosur haben wir die Aussicht auf einen dringend nötigen Konjunkturimpuls. Es sind genau diese Schritte, die unseren Unternehmen neue Chancen bieten und davon gibt es gerade viel zu wenige. Ich wünsche mir mehr Weitsicht und das Ziehen Österreichs an einem Strang.“

Stefan Rohringer
Infineon

„Österreich steht an einem Punkt, an dem wirtschaftliche Offenheit und internationale Zusammenarbeit wichtiger sind denn je. Unsere exportorientierte Industrie lebt von freien Märkten und verlässlichen Partnerschaften – deshalb braucht es ein klares Bekenntnis zu Abkommen wie Mercosur. Statt uns in bürokratischen Prozessen zu verlieren, sollten wir die Chancen des globalen Handels nutzen – mit klaren Standards, fairen Wettbewerbsbedingungen und dem Vertrauen in die Innovationskraft unserer Unternehmen.“

Alfred Marchler
ZETA

„Wenn wir als Wirtschaftsstandort im internationalen Wettbewerb bestehen wollen, brauchen wir mehr Flexibilität – in den Köpfen, in den Strukturen und vor allem in den Rahmenbedingungen. Moderne Arbeitszeitmodelle und eine konsequente Digitalisierung sind keine Zukunftsthemen mehr, sondern Voraussetzungen, um als Innovationsstandort attraktiv zu bleiben. Es geht darum, die Potenziale unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter optimal zu nutzen, ohne sie in starre Systeme zu zwängen. Nur wer Beweglichkeit zulässt – organisatorisch wie technologisch – wird langfristig wettbewerbsfähig bleiben und Wachstum sichern.“

Herbert Decker
Maschinenfabrik Liezen

„Das zentrale Thema der heimischen Industrie sind die Kosten. Überbordende Abgaben auf Arbeit, hohe Energiepreise und wachsende Handelsschranken setzen den Betrieben massiv zu. Während andere Länder gezielt entlasten und ihre Industrie stärken, wird der heimische Standort zunehmend durch Belastungen ausgebremst. Wer in Österreich auch künftig industrielle Wertschöpfung, Arbeitsplätze und Innovation will, muss jetzt handeln und alles daransetzen, Kosten zu reduzieren. Gefordert ist eine Politik, die den Faktor Arbeit entlastet, Märkte öffnet und Planungssicherheit schafft – statt immer neue Hürden zu errichten.“

Christian Kögl
Ceram Austria

„Der industrielle Standort steht zunehmend unter Druck – nicht, weil es an Know-how oder Innovationskraft fehlt, sondern weil die Rahmenbedingungen sich nachteilig entwickelt haben. Energiepreise – die nochmalige Erhöhung der Leitungsgebühren –, hohe Lohn- und Gehaltskosten, Fachkräftemangel und eine überbordende Regulierung setzen Betriebe unter enormen Druck. Wir brauchen endlich Planbarkeit und Verlässlichkeit, gerade für Unternehmen, die langfristig investieren. Österreich muss sich wieder trauen, Industrie als Zukunftsfaktor zu begreifen, nicht als Belastung.“

In Kooperation mit der IV-Steiermark

 

Fotos: Marija Kanizaj, Birgit Steinberger, Ceram Austria, nfineon Austria

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