Wie würden Sie die aktuelle Situation für Frauen in Wissenschaft und Forschung in Österreich beschreiben?
Andrea Kurz: Man spürt einen Bewusstseinswandel. Gleichstellung ist kein Nischenthema mehr, Förderprogramme sind stark gewachsen. Es gibt mehr Transparenz, Mentoring und Diskussionen über die Vereinbarkeit von Forschungskarrieren und Familie. Aber Barrieren bestehen nach wie vor, vor allem beim Zugang zu Spitzenpositionen.
Wie gestaltet sich der Frauenanteil an der Med Uni Graz?
Bei den Studierenden liegt er bei rund 59 Prozent, beim wissenschaftlichen Personal bei 51 Prozent, beim allgemeinen Personal bei 78 Prozent. In der Professorenschaft sind Frauen mit knapp 32 Prozent aber unterrepräsentiert. Trotz aller Programme hat sich da noch wenig verändert.
Wie haben Sie selbst die Situation während Ihrer Zeit in den USA erlebt?
Es gibt sehr gute Förderprogramme, institutionelle Unterstützung durch Coaching und strukturierte Karrierepfade. Spitzenpositionen bleiben dennoch oft männlich besetzt, Betreuungspflichten tragen überwiegend Frauen. Auch in den Staaten muss man sich gegen informelle Netzwerke und unbewusste Bias behaupten.
Wie kann man Mädchen schon früh den Start in Forschungskarrieren erleichtern?
Angebote wie Summer Schools sind wichtig. Sie sollen erleben, wie spannend es ist, Neues zu entdecken. Mut und Selbstvertrauen entstehen, wenn man sieht, dass eigene Ideen zählen.
Wo braucht es vor allem strukturelle Stärkung, damit Frauen im Wissenschaftsbetrieb bleiben?
Die braucht es vor allem in der späten Postdoc-Phase und beim Übergang zur Professur, wenn berufliche und private Belastungspunkte zusammenkommen. Entscheidend sind familienfreundliche Arbeitszeitmodelle, Kinderbetreuung und karenzgerechte Rückkehrprogramme. Ergänzend sollen sich durch Leadership-Trainings gezielt Führungspersönlichkeiten entwickeln.
Warum unterstützt die Med Uni Graz den „SPIRIT-Award for WOMEN in SCIENCE“?
Er ist ein klares Zeichen der Wertschätzung und Sichtbarkeit für Nachwuchsforscherinnen. Frauen sollten keine falsche Bescheidenheit zeigen. Der Award stärkt die Wissenschaftskommunikation, schafft Vorbilder und fördert eine Kultur, in der Exzellenz unabhängig vom Geschlecht anerkannt wird.
Wie verlief Ihr persönlicher Weg in die Medizin?
Ich wollte schon als Kind Medizin studieren. In die Anästhesie kam ich eher zufällig, weil dort Forschung möglich war. Eine Studie hat mich dann in die USA geführt. Mein Mann, ein Jurist, hat seine Karriere zugunsten der Familie zurückgestellt, das war eine große Stütze.
War das Zutrauen in die eigene Führungsfähigkeit von Beginn an da?
Ganz und gar nicht. Ich wollte ursprünglich Landärztin werden und fühlte mich anfangs oft fehl am Platz – zwischen Männern, die angeblich genau wussten, was sie wollten. Aber Ehrgeiz hat mich weitergetrieben, Selbstvertrauen wächst mit den Aufgaben.
Andrea Kurz
Die gebürtige Wienerin ist Fachärztin für Anästhesie und Intensivmedizin mit einer internationalen Karriere in der Forschung. Sie hatte Führungspositionen an der Washington University und an der Cleveland Clinic in Ohio, wo sie zuletzt Vice Chair for Research am Anesthesiology Institute war. Seit Februar 2024 ist Kurz Rektorin der Med Uni Graz und damit die erste Frau in dieser Position.
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