„Die bisherigen Regeln gelten nicht mehr“
Speaker am Zukunftstag: Robert-Jan Smits, emeritierter Präsident der TU Eindhoven und ehemaliger EU-Generaldirektor für Forschung und Innovation, erklärt die neue wirtschaftspolitische Weltordnung und skizziert Europas Weg zurück zu Stabilität und Stärke.
Mr. Smits, die Welt ist „kein Dorf mehr“?
Robert-Jan Smits: Nein. Sie war es, und ich werde am „Zukunftstag“ am 19. November in Graz ausführlich erläutern, was die Grundlage dieses Dorfes war, welche Spielregeln galten und wie wir alle davon profitiert haben. Dann analysiere ich, warum das globale Dorf Vergangenheit ist: Was hat es zu Fall gebracht? Was waren die Dealbreaker? Und dann sprechen wir über notwendige Modelle der Zukunft: Wie bleiben Standorte wettbewerbsfähig, auf Innovations- und Wachstumskurs?
Wodurch hat sich die Weltordnung in den letzten Jahren so stark verändert?
Reißen wir das Thema kurz an, denn alles möchte ich noch nicht verraten. (lacht) Die erste große Disruption war die Finanzkrise, die Menschen weltweit vor Augen führte, welch enorme Risiken unser globales Finanzsystem neben all seinen Vorteilen mit sich bringt. Ein weiterer Schnitt war Covid-19, der uns unsere fatalen Abhängigkeiten von Ländern wie China im Ernstfall bewusst machte: Wir erkannten, dass uns das Outsourcen kompletter Geschäftszweige im Ernstfall manövrierunfähig macht. Dann begann der Ukraine-Krieg, eine echte Zäsur: Hatte man bisher angenommen, es gäbe eine Art globales Handelsverhältnis – Geld gegen Ware, in diesem Fall: Geld gegen Gas – dann machte Russland jetzt deutlich, dass diese Verträge nicht mehr als Versicherung gegen kriegerische Auseinandersetzungen taugen. Dazu kam Trump, der der Welt mit seinen Zöllen den Krieg erklärte. Das bisherige Regelwerk ist Geschichte.
„Kooperation basiert künftig auf gemeinsamen Wertvorstellungen. Wer diese nicht teilt, ist kein Partner mehr – ganz einfach.“
Welche Regeln gelten jetzt?
Mit Vertrauen, globaler Zusammenarbeit und gemeinsamen Zielen ist es vorbei. Die Weltorganisationen sind geworden: WHO, die Vereinten Nationen, der International Monetary Fund (IMF) – sie alle verlieren an Wirkkraft. Jetzt gilt das Recht des Stärkeren: Wer hat mehr Militärmacht, mehr politische Dominanz, mehr „Muskeln“.
Sie definieren das als Paradigmenwechsel?
Exakt. Ein weiteres Beispiel: Die Vereinigten Staaten haben wir in Wirtschaft, Wissenschaft oder militärischen Fragen bisher als verlässlichen Partner betrachtet. Nun ist nicht einmal mehr die Rechtssicherheit unserer europäischen Forschungsdaten gegeben, die bei Google, Amazon und Co. in der Cloud liegen. Die US-Amerikaner zählen zu jenen, die das globale Dorf aktiv unterbinden. Das ist ein Schock für Europa. Wir werden künftig sehr sorgfältig wählen, mit wem wir zusammenarbeiten. Vor allem aber müssen wir die innereuropäische Kooperation massiv ausbauen.
Robert-Jan Smits
- geb. 1958, emeritierter Präsident der Technischen Universität Eindhoven
- Smits war acht Jahre lang Generaldirektor für Forschung und Innovation bei der Europäischen Kommission.
- Er zeichnet u. a. inhaltlich maßgeblich verantwortlich für die beiden Horizon-Forschungsprogramme (dotiert mit insgesamt 170 Milliarden Euro).
- Er trägt zahlreiche internationale Ehrungen und Auszeichnungen für seinen Beitrag zu Wissenschaft und Innovation in Europa.
Wie reagiert die Wirtschaft auf neuen Rahmenbedingungen?
Überall auf der Welt überdenken und adaptieren Konzerne ihre Globalisierungsstrategien. Europäische Unternehmen holen ihre ausgelagerte Produktion zurück auf den Kontinent, oft in die Region. Sie wollen mit verlässlichen Partnern zusammenarbeiten und finden diese in der Nähe: Kooperationen auf regionaler Ebene kommt eine völlig neue Rolle zu. Das schließt Regierungen, Universitäten, Institutionen und natürlich die arbeitenden Menschen mit ein. Wir haben Top-Notch-Talente in Europa! Wenn wir uns in der Region zusammenschließen, gewinnen alle – genauso, wenn wir Europäer stärker zusammenarbeiten.
Das Modell, das uns in Zukunft trägt?
Ja! Wir stehen am Beginn eines goldenen Zeitalters für regionale Innovations-Ökosysteme. Es sind Zukunftsmodelle der Zusammenarbeit innerhalb von und zwischen Europas Regionen. Diese Systeme tragen künftig den Wirtschaftsstandort. Wir müssen sie jetzt aktiv weiterentwickeln, damit sie kraftvoller und resilienter werden. Sie sind das Herz unserer Wettbewerbsfähigkeit.
Welche europäische Region macht das bereits vor?
Sie in der Steiermark sind ein fantastisches Beispiel dafür: Ihre Clusterlandschaft unter Einbindung führender Großunternehmen, Ihr Modell der Kooperation zwischen Unternehmen, Wissenszentren, Universitäten, Hochschulen und Politik bzw. der öffentlichen Hand. Ich sehe das auch in anderen Regionen in Europa: in Deutschland in den Städten München und Dresden, im niederländischen Eindhoven, im französischen Grenoble und in Stockholm, Schweden. Sie merken: Wir haben diese Innovationsökosysteme bereits, wir müssen sie nur weiter ausbauen und uns über die Grenzen hinweg auf europäischer Ebene zusammenschließen. Es gibt Überlegungen, Ihren Silicon-Alps-Cluster mit dem Silicon-Cluster in Eindhoven zu verbinden, mit jenem der belgischen Stadt Löwen und mit den Pendants in Dresden und München. Die Halbleiterindustrie ist ein sehr gutes Beispiel für hochkarätige europäische Kompetenz.
INFO
Der Zukunftstag der Innovations- und Wirtschaftsregion Süd 2025 der Steirischen
Wirtschaftsförderung SFG & der Joanneum Research
- am 19. November im Messe Congress Graz (ganztätig)
- versammelt 1.300 (inter-)nationale Gäste aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik.
- Thema: Global minds, local moves – Wie gelingt die Balance zwischen internationaler Perspektive und regionaler Verantwortung?
- Keynotes: Robert-Jan Smits und General Robert Brieger (ehem. Vorsitzender des Militärausschusses der Europäischen Union)
Das heißt aber nicht, dass Kooperationen sich künftig auf Europa beschränken?
Nein. Es wird immer weltweite Zusammenarbeit in Wirtschaft, Wissenschaft und Politik geben, das sage ich ganz klar. Aber Menschen, Unternehmen und Universitäten agieren künftig selektiver: Sie werden nur mehr mit jenen Ländern, Unternehmen und Institutionen kooperieren, welche die gleichen Werte vertreten. Zusammenarbeit basiert dann also auf gemeinsamen Wertvorstellungen. Wer diese nicht teilt, wird kein Partner mehr werden, ganz einfach.
Welchen Beitrag kann die Europäische Union zur Stärkung der regionalen Ökosysteme leisten?
Ursula von der Leyen hat bereits vor einiger Zeit die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit Europas als Strategie ausgerufen. Die EU anerkennt die regionalen Ökosysteme und unterstützt sie dabei, ihre Kompetenzen vor Ort auszubauen. Sie stellt strategische Programme sowie finanzielle Mittel bereit – ein wirkungsvolles Instrument, um den gesamteuropäischen Standort zu entwickeln. Nie hatte die Europäische Kommission mehr Interesse an starken Regionen als jetzt.
Gleichzeitig gibt es interne Kritik am Bedeutungsverlust Europas – man habe sich von anderen Standorten den Rang ablaufen lassen. Haben Sie eine optimistische Antwort darauf?
Ich bin immer optimistisch! Europa stellt sieben Prozent der Weltbevölkerung und generiert immer noch ein Viertel des Wissens. Wir sind unheimlich stark, wenn wir uns zusammenschließen! Denken Sie an Airbus – ein wunderbares Beispiel für die Exzellenz europäischer Zusammenarbeit, hier schlägt uns keiner so schnell. Auch in der Grundlagenforschung – etwa im Schweizerischen Cern – sind wir anderen Kontinenten weit voraus. Wir können tatsächlich ein Powerhouse der Innovation, Forschung und Entwicklung sein – es ist nur die Frage, wie gut wir uns organisieren. Wir haben fantastische Ressourcen, aber wir müssen die Bürokratie überwinden und weiter in Innovation investieren. Alle Zutaten sind da – wir müssen sie nur auf die Reihe kriegen. Und das werden wir. Ich bin also sehr optimistisch. (lacht)
Fotos: beigestellt
