Wie wir morgen leben werden
Stadt der Zukunft: Welche Vision haben renommierte Architekten von der „Stadt der Zukunft“? Was braucht es, um Städte smart, grün und lebenswert zu gestalten? Und wo liegen die größten Herausforderungen für Städte in den kommenden Jahrzehnten? Dazu diskutierte eine hochkarätige Runde aus Expertinnen und Experten am Roundtable von „SPIRIT of Styria“.
TALK IM TURM ist ein Diskussionsformat von SPIRIT of Styria.
Jeden Monat laden wir Expertinnen und Experten zur Diskussion über ein spannendes Wirtschaftsthema an den Runden Tisch in die Redaktion an den Technopark Raaba.
Mitgründer querkraft architekten zt gmbh, zahlreiche Prestigeprojekte, darunter Museum Liaunig, IKEA am Wiener Westbahnhof, Österreichischer Pavillon auf der Expo 2020 in Dubai etc.
Mitgründer BEHF Architects in Wien, zahlreiche Top-Referenzen, darunter „The Icon Vienna“, Helio Tower, Reiters Reserve Premium Suites etc.
Gründer Gangoly & Kristiner Architekten, Büros in Graz und Wien, langjähriger Leiter des Instituts für Gebäudelehre an der TU Graz
stellvertretende Leiterin des Instituts für Städtebau an der TU Graz, zahlreiche nationale und internationale Forschungsprojekte zu Klimawandelanpassung in Städten und Regionen
Vorsitzender Sektion Architekt:innen in der Ziviltechniker:innen-Kammer für Steiermark und Kärnten, Gründer Büro SuedOst
Wenn Sie an die Stadt der Zukunft denken, was kommt Ihnen spontan in den Sinn – eine konkrete Stadt oder eine Vision?
Ich halte die „Stadt der Zukunft“ offen gestanden für einen schwierigen Begriff. Man kann in die Zukunft zwar alles Mögliche projizieren, aber in der Regel wird es so nicht eintreffen. Wenn man in die Zukunft blicken will, sollte man gerade bei einer Stadt in die Vergangenheit schauen. Um sich die Frage zu stellen: Was hat in der Vergangenheit funktioniert? Und in welchem gesellschaftspolitischen Kontext? Die Herausforderung ist: In einer Stadt haben wir viele unterschiedliche Akteure – und alle haben ihren eigenen Fokus und einen anderen Blick. Und nachdem wir in einer Gesellschaft leben, wo wir für alles eine Mehrheit brauchen, ist es wahnsinnig schwierig zu definieren, wie die Zukunft ausschauen soll – gerade in Bezug auf das Thema Stadt. Am Ende des Tages braucht es daher eine politische Willensbildung. Über architektonische bzw. städtebauliche Fragestellungen diskutieren, ist das eine, aber die Grundsatzfragen muss die Politik lösen.
Die Stadt der Zukunft erzeugt bei mir alle möglichen Bilder im Kopf. Comicartige Bilder – rund um Batman oder Dagobert Duck schwirren mir durch den Kopf, auch diverse Zukunftsvisionen, die sich aber noch nie bestätigt haben. Gleichzeitig fallen mir aber auch Städte ein wie Rom, Venedig und Paris – jede davon ist eine Stadt der Zukunft. Genauso aber auch Wien – und Graz wahrscheinlich auch. Denn überall gibt es Veränderung. An allen Orten, an denen viele Menschen zusammenkommen, ist Veränderung im Gange. Und Veränderung ist der Ausdruck der Zukunft, wie auch immer sie sich gestaltet. Ich lebe in Wien und bin der Meinung, dass es einer der attraktivsten Orte der Gegenwart ist, weil es viele schöne Qualitäten aus der Vergangenheit gibt und er trotzdem dazu auffordert, Dinge neu zu schaffen und zu ergänzen. Für mich das Entscheidende: Wenn wir über Stadt reden, reden wir meiner Überzeugung nach nicht über Architektur, sondern über Menschen und Energien. Das macht für mich Stadt aus – und geht weit über Städtebauliches hinaus.
Die Bedeutung der politischen Dimension für eine Stadt wurde bereits angesprochen. In der Kammer der Ziviltechniker:innen versuchen wir, unsere Mitglieder sowie unterschiedliche Stakeholder auf die Zukunft vorzubereiten – da gibt es viel zu tun. Ich bin der Meinung, dass wir nicht nur in die Vergangenheit schauen sollten, um über die Stadt der Zukunft zu diskutieren, sondern dass wir gut beraten sind, auch Utopien zu entwickeln. An solchen Zukunftsbildern mangelt es gerade. Was mir in meiner Heimatstadt Graz fehlt, ist die Auseinandersetzung damit, wohin sich die Stadt in Zukunft entwickeln soll. Mein Eindruck ist, dass wir in Graz schon lange keine Erzählung mehr haben, an der wir uns orientieren können. Zum letzten Mal war das im Jahr 2003 der Fall, im Jahr der Kulturhauptstadt – eine Erzählung, die einiges bewegt hat. Dabei gäbe es sehr viele Themen, die uns momentan beschäftigen – die Nachhaltigkeitsdebatte, der Klimaschutz, der Boden- und Ressourcenverbrauch etc. Hier gibt es auch in der Kollegenschaft noch viel zu lernen, weil Stadt komplex und kompliziert ist und als Architektin bzw. Architekt sollte man stets up-to-date sein.
Ich bin der Ansicht, dass wir uns um Städte weniger sorgen müssten – es ist das Land, das immer „schiarcher“ geworden ist. Schauen wir auf ein Dorf vor hundert Jahren, das war noch schön in seiner Struktur und mit seinen Häusern, die ungefähr dieselbe Bauweise hatten. Es gibt kaum ein Dorf, das heute schöner ist als vor hundert Jahren. Dahingegen glaube ich, dass sich viele Städte zum Positiven verändert haben – ich denke an Bilbao, Kopenhagen oder Paris, wo sich sehr viel tut. Auch Wien ist heute besser als in den 80er-Jahren. Zweiter wichtiger Punkt: Architektur und Städtebau sind Spiegel der Gesellschaft. Jetzt könnte man überlegen, wie die Gesellschaft in 20 oder in 100 Jahren ausschauen wird, um die Frage nach der Stadt der Zukunft zu beantworten. Ich muss gestehen, ich bin ein unverbesserlicher Optimist. Daher denke ich, dass Städte noch viel toller werden, egal, ob Düsseldorf oder Seoul, wo sie erst eine Autobahn durch die Stadt gebaut und dann wieder weggerissen haben, um einen Bach freizulegen.
„Die Stadt der Zukunft, von der ich träume, ist grün, verdammt grün! Und sie ist eine Slow City. Das würde ich mir für Wien wünschen. Alles mit Qualität, aber langsam.“
Wäre so etwas auch in Österreich möglich?
Wir jammern zwar gern in Österreich, aber im Vergleich stehen wir nicht so schlecht da. Ich würde meinen, Österreich ist manchmal sogar ein bisschen mutig – wenn auch nicht so mutig wie andere. Aber jetzt komme ich zu meiner Vision. Die Stadt der Zukunft, von der ich träume, ist grün, verdammt grün! Und sie ist eine Slow City. Das würde ich mir für Wien wünschen – das fände ich einen genialen Ansatz. Wo, wenn nicht in Wien könnte man eine Slow City ausrufen – analog zum Slow Food in Italien. Alles mit Qualität, aber langsam. Die KI arbeitet – und wir haben Zeit. Ein wichtiger Schlüssel dafür ist die Mobilität. Mein radikaler Ansatz: Alle Autos werden auf 15 km/h abgeriegelt, auch alle Scooter und sonstigen Verkehrsteilnehmer. Alle Verkehrszeichen werden abgeschafft, alle Zebrastreifen, alle Ampeln. Das brauchen wir nicht mehr. Ja, ich träume gern. Stellen wir es uns einfach vor.
Diesen Optimismus kann ich nur bedingt teilen. Ich finde, wenn wir an die Stadt der Zukunft denken, sollten wir hier aus dem Fenster schauen – auf das, was vielfach auch hier in Raaba passiert, nämlich eine Periurbanisierung des Raums, also eine Ausdehnung städtischer Strukturen in ländliche Gebiete. Wenn wir von Stadt reden, reden wir längst nicht mehr klar abgegrenzte Einheiten. Das Gegensatzpaar Stadt/Land funktioniert nicht mehr. Daher sollten wir weniger über die Stadt der Zukunft reden als über die Region der Zukunft – also auch über all das, was das Leben in der Stadt überhaupt möglich macht. Die politische Dimension – wie angesprochen – ist auch in diesem Fall gefordert, denn es gibt zu wenig Planung über die Stadtgrenze hinaus. Für mich wäre es logisch, die Dinge gemeinsam zu denken und Visionen über die Stadtgrenze hinaus zu entwickeln.
„Die These, dass Grün automatisch als attraktiv und angenehm wahrgenommen wird, teile ich nicht. Das ist mir zu wenig – eine Stadt der Zukunft braucht zusätzliche Qualitäten.“
Wohl kein spezifisches Grazer Problem, oder?
Ja, das ist in anderen Städten auch so, aber bei uns ist es sehr deutlich, es gibt viele Parallelstrukturen – und Pläne, die an den Gemeindegrenzen enden. Daher sollten wir einen Paradigmenwechsel zulassen. Dabei ist Mobilität ein ungeheuer wichtiges Thema genauso wie gesellschaftlicher Zusammenhalt. Der Klimawandel verschärft die Herausforderungen. In all diesen Fragen braucht es politische Lösungen UND gute Stadtplanung.
„In einer Gesellschaft, in der wir für alles eine Mehrheit brauchen, ist es schwierig zu definieren, wie die Zukunft ausschauen soll – am Ende des Tages braucht es eine politische
Willensbildung.“
Von wem können wir lernen?
Ich sehe positive Dinge in unterschiedlichen Städten – etwa in Rotterdam hat sich sehr viel zum Guten entwickelt. Beeindruckend zu sehen ist dort vor allem die Art, wie die Menschen mit ihrer Stadt umgehen. Es gibt viele interessante Projekte, die nicht unbedingt von der Stadtplanung ausgehen, sondern Eigeninitiative der Bewohner*innen sind, die mehr Grün wollen und beginnen, die Stadt zu bepflanzen. Dieses „Ich mache und tue, denn es ist meine Stadt“ zeugt von einem Mindset, den ich sehr inspirierend finde. Man drückt sich nicht nur über Wahlen aus oder übers Raunzen, es geht auch über aktive Teilhabe.
Ich war im Sommer in Helsinki. Dort fand ich Straßenzüge vor, die plötzlich extrem lebenswerte Orte waren, richtig mediterran – ich saß in einem Schanigarten mit Bäumen. Helsinki hatte im Vorjahr übrigens zum ersten Mal keinen Verkehrstoten. Kein Zufall, es wurden viele Maßnahmen gesetzt.
Auch Paris ist aufregend. Weil es fortschrittlich ist – aber in welchen Punkten? Nur der reduzierte Straßenverkehr ist es nicht – eine Stadt ohne Autos macht für mich eine Stadt nicht automatisch attraktiver. Andere Fragen sind entscheidender – etwa: Ist eine Stadt aufgeklärt und beweglich, konsumorientiert und gesellig? Alleine die Architektur oder das Verkehrskonzept sind mir zu wenig – die Software, im Vergleich zur städtebaulichen Hardware, muss passen. Ich will dabei nicht nur den Süden preisen. Schließlich bin ich gebürtiger Hamburger. Hamburg oder Stockholm – das sind ebenso Städte, wo die Energie und auch sonst vieles stimmt.
Was auffällt: Bei den Vorzeigebeispielen wie Paris oder Kopenhagen hat es immer einen politischen Willen für bewusste Veränderungen gegeben. Daher glaube ich auch, dass es eine Erzählung braucht. Gleichzeitig hege ich immer Skepsis vor einer allzu positiven touristischen Sichtweise auf eine Stadt. Denn als Städteurlauber sehen wir meist nur die schönen Dinge einer Stadt und erzählen einander von diesen – seltener aber von den Problemen, die eine Stadt hat. Diese spielen sich eher in Arealen ab, wo wir meist gar nicht hinkommen. Wir nehmen Städte extrem fragmentiert wahr – nie als ganze Stadt, sondern als Teile, die wir uns heraussuchen und die einem sympathisch sind. Jeder geht gern durch eine begrünte Straßenzeile im Zentrum, aber schaut sich zwei Drittel der Stadt nicht an.
Das sehe ich genauso. Die Innenstädte werden weltweit immer schöner, aber wir müssen auch auf die Außenbezirke schauen – in Wien auf Favoriten zum Beispiel. Hier könnte Amsterdam ein Vorbild sein – mit einem architektonisch bemerkenswerten Jugendzentrum für migrantische Kinder. In dem Bereich gibt es viel Potenzial. Vor allem Schulprojekte liefern gute Gelegenheiten, wo man Akzente setzen kann – hier passiert zum Glück auch immer mehr.
Zum Stichwort Grün möchte ich eines anmerken: Die These, dass Grün automatisch als attraktiv und angenehm wahrgenommen wird, teile ich nicht. Ich bin ein alter Segler und darf aus Überzeugung sagen: Wenn ich einmal eine Zeit lang keine Pflanzen sehe, ist das auch ganz wunderbar! Nur Meer, Himmel, Holz und Segel, keine einzige Pflanze und man ist glücklich. (lacht) Daher sage ich – auch wenn mir bewusst ist, dass ich damit provoziere: Grün kann kein Indikator für Glück sein. Es ist was anderes. Wenn ich es mir aussuchen müsste, menschenleere Allee oder eine belebte – aber unbegrünte – Straße in Paris, die mich direkt in die nächste gute Bar führt, dann entscheide ich mich für Zweiteres.
Ja, aber es gibt halt auch Menschen, die nicht auf dem Boot leben. (lacht) Ob man Grün persönlich schön findet oder nicht – Grünraum und Bäume wirken auf die allermeisten Menschen positiv. Es geht ja nicht um die Farbe, sondern um die Leistung, die Grün liefert für die Psyche, das Mikroklima und den Schutz vor den Folgen des Klimawandels. Das Grün liefert eine wichtige Grundlage für ein gutes Leben in der Stadt! Es ist in der Verantwortung der Planung, Grundlagen zu schaffen, die dieses gute Leben für möglichst viele Menschen zulassen.
„Wenn wir von Stadt reden, reden wir längst nicht mehr klar abgegrenzte Einheiten. Das Gegensatzpaar Stadt/Land funktioniert nicht mehr. Daher sollten wir weniger über die Stadt der Zukunft reden als über die Region der Zukunft.“
Wie kann Stadtplanung besser gelingen?
Das Planen über die Stadtgrenze hinaus wurde genannt – aber auch das Planen über die Legislaturperiode hinaus halte ich für ganz entscheidend. Es verursacht viele Probleme, dass wir in so kurzen Zyklen immer mit neuen Rahmenbedingungen zu tun haben – es braucht hier eine längerfristige Perspektive. Zudem sprechen wir in der Kammer auch sehr viel über die Baukultur, die ja nichts anderes meint als unseren Lebensraum. Um die Zentren, die ganz gut funktionieren, brauchen wir uns nicht viel Sorgen machen, aber die Gestaltung des Lebensraums umfasst auch die peripheren Lagen. Und dort sehe ich sehr viel Potenzial.
Ich bin heute über St. Peter, von der Plüddemanngasse kommend, aus der Stadt hinausgefahren – und da findet man vom Schillerplatz bis praktisch hierher alles, was der Siedlungswohnungsbau in den vergangenen siebzig Jahren anzubieten hat. Akzeptieren wir das als Stadt im Sinne von romantischer Agglomeration? Ich würde einmal behaupten, für 90% der Bewohner von Graz ist das nicht Stadt. Daher meine Frage: Glauben wir Architekten daran, dass Stadt eine bestimmte räumliche Qualität haben muss oder nicht?
Ich antworte spontan als Hamburger. Hamburg ist wie Berlin eine Stadt, die nach 1866 plötzlich von enormem Wachstum geprägt war – in Gegenden, wo vorher nur Kühe und Gänse um einstöckige Holzhäuser rumgelaufen sind. Der Wohlstand brach wie eine Welle über die Region – vergleichbar heute mit Singapur oder Dubai. Und da bin ich der Meinung, ja, es ist auch dann Urbanität, wenn es nicht über 2000 Jahre gewachsen ist und auf antiken Ruinen gründet – sondern auch, wenn es sich relativ künstlich unter ideologischen oder gesellschaftspolitischen Aspekten entwickelt hat. Das heißt, in dem Moment, wo sich etwas verdichtet, wo Veränderungen und Wachstum passieren, bekommt es die Qualität, die wir letztlich als Stadt bezeichnen.
Professor Dietmar Eberle von der ETH Zürich meint, dass eine Stadt erst ab einer Quartiersdichte von 1,5 als Stadt funktionieren kann, weil sie dann erst die Chance hat, räumlich zu werden. Graz hat das in kaum einem Gebiet. Für mich eine spannende Frage, weil ich glaube daran, dass die Wechselwirkung aus öffentlichem Raum und überschaubarer privater Einheit eine Stadt funktionierend macht.
Die Dichte – an Menschen, aber auch an Funktionen und Angeboten – ist für mich das eine. Aber das andere ist, was definieren wir dann nicht als Stadt? Wenn man immer nur an die große Dichte als Stadt denke, verliert man vieles andere aus dem Blick. Das Problem: Was nicht als Stadt definiert wird, bekommt weniger Aufmerksamkeit und man überlegt sich nicht, wie man Potenziale nutzen oder Fehlentwicklungen entgegenwirken kann. Daher müssen wir bei dieser Definition sehr aufpassen, dass wir nicht große Teile der Stadt unter den Tisch fallen lassen – und damit auch die Gestaltungsmöglichkeiten.
Der Begriff Stadt an sich ist – wie das Wort Essen – zunächst einmal neutral. Es gibt sehr gutes Essen auf Haubenniveau und es gibt ganz entsetzliches Fastfood – es gibt auch Stadt in schrecklicher Form, beispielsweise Teile von Los Angeles, wo man nur noch Autobahn sieht. Und es gibt wunderbare Stadt. Beides ist Stadt, aber was ist urban? Urban ist positiv besetzt, ein „urbanes Gefühl“ zum Beispiel schätzen wir alle. Ich glaube auch, das Grün in urbanen Räumen durchaus machbar ist – nehmen wir einen Boulevard in Paris oder eine Straße in Wien oder Graz. Wenn ich es mir aussuchen kann, sollten da lieber Bäume stehen als Autos. Die Leute fragen dann aber zumeist, was das alles kostet? Langfristig kostet es wohl mehr, nichts zu tun. In den vergangenen Jahren hat Österreich mit der Gießkanne viele Milliarden ausgegeben. Geld, das uns jetzt bitter fehlt. Ich habe zwei Enkel mit neun und drei Jahren. Was wäre, würden wir mit einer dieser Milliarden in Wien Bäume pflanzen? Einfach so. Eine Milliarde Euro und ich pflanze Bäume in Wien und in Graz. Dann machen wir etwas für die Generation in 50 oder 70 Jahren. Und es wäre vereinbar mit Urbanität. Es muss nicht alles grün werden, vielleicht gibt es auch Bereiche, wo es nicht notwendig ist, aber man kann substanziell sehr viel fürs Mikroklima machen.
Mein provokantes Statement zum Thema Grün beginnt ja genau an dem Punkt, wo ich sage, Grün ist genauso attraktiv wie Jung oder Schön. Tolle Sache, aber allein reicht das nicht. Im Hintergrund stellen sich viele weitere Fragen, wo wir in die Inhalte gehen müssen – dann müssen wir reden über Gerechtigkeit, Fröhlichkeit, Sicherheit und Ähnliches. Und Grün ist eben zu einer Metapher im Gegensatz zu Grau geworden. Aber wenn mir jemand sagt, etwas muss bunt sein, dann ist es fröhlich, dann sage ich: Tut mir leid, bei mir löst Buntheit überhaupt keine Fröhlichkeit aus. Im Gegenteil. Und wenn mich jemand fragt, wo die wahre Qualität einer Stadt liegt, dann ist meine Antwort: in der Dichte. Tokio hat besseres Essen als St. Pölten.
Ich finden den Kontrast sehr spannend. Eine Dichte wie zum Beispiel in Manhattan und dann mittendrin der großräumige Central Park. Das finde ich faszinierend.
Die Dichte ist meist ein schwieriges Thema für die Bevölkerung, zumindest in Graz. Damit haben wir ja tagtäglich zu tun, auf einer politischen Ebene, als Projektentwickler, die Zeitungen schreiben, alles wird zugebaut, Bauen ist böse. Das geht mittlerweile so weit, dass immer weniger junge Menschen Bauingenieur studieren wollen und in Zukunft vielleicht auch nicht mehr Architektur. Niemand will alles betonieren und CO2 raushauen, damit wollen die Menschen nichts zu tun haben und deswegen sehen das junge Leute so negativ. Dabei entspricht das ja überhaupt nicht der Realität – sondern wir können gerade mit dem Planen, Bauen und Entwickeln von Städten sehr positive und schöne Utopien realisieren. Dabei bin ich sicher, dass wir uns auch auf einen Qualitätsbegriff beim Bauen einigen können.
Es gibt heute keine großen Ansprüche mehr an die Baukultur. Nicht nur von der Politik, sondern leider auch von den Nutzerinnen und Nutzern – es wird auf der persönlichen Ebene wenig Anspruch gestellt. Ob für ein Haus, einen guten Grundriss oder Ähnliches – das ist den Leuten in der Regel egal. Das muss man leider sagen. Das macht das Ganze so schwierig.
Die Menschen haben es auch nicht gelernt. Wir alle lernen in der Schule ein bisschen etwas über Ernährung und Gesundheit oder Ähnliches. Aber nichts über Bauen und Baukultur. Auch in den Medien wird es kaum vermittelt.
„Mein Eindruck ist, dass wir in Graz schon lange keine Erzählung mehr haben, an der wir uns orientieren können. Zum letzten Mal war das im Jahr 2003 der Fall.“
Die Seestadt Aspern in Wien gilt als Stadtteilentwicklungsmodell der Zukunft. Zurecht?
Das Modell Seestadt Aspern zeigt sehr gut, was heute im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten machbar ist und welches Entwicklungspotenzial es in einer solchen Konstellation gibt. In der ersten Phase der Seestadt stand das einzelne Baufeld noch im Fokus und es entstanden viele vergleichsweise hermetische Wohnbauten. In der aktuellen Phase wird vielmehr Wert auf die Qualitäten im öffentlichen Raum gelegt. Hier sind Planungsprozesse bereits abgeschlossen und es werden Aussagen getroffen, bevor es eine Planung für das eigentliche Baufeld gibt. Das bedeutet, dem öffentlichen Raum und den damit verbundenen räumlichen Qualitäten wird der Vorrang gegeben. Das halte ich für einen interessanten, vielversprechenden Ansatz.
Ich finde, die Seestadt Astern ist eine städtebauliche Katastrophe. Der Grundsatz war gut, aber wir haben dort dieses Dilemma, dass die falschen Kräfte gewaltet haben – weil man versucht hat, alle Dinge zu regeln. Das ist fulminant gescheitert – trotz bester Absichten. Wenn ich jemanden durch den 9. Bezirk schicke und dann durch die Seestadt und frage, wo willst du wohnen, dann wird jeder vernünftige Mensch sich für die historische Substanz entscheiden.
In Graz sind wir auch in Reininghaus mit der Erdgeschosszone gescheitert. Es stand die romantische Idee dahinter: Wir machen Stadt. Die Realität ist aber eine andere. Der Handel verändert sich massiv, es gibt immer weniger stationäre Geschäfte, wir haben ein Gasthaussterben etc. Daher wird sich auch in einem neuen Stadtteil das bunte Leben nicht im Erdgeschoss abspielen – die Dichte allein wird das Ganze nicht zum Funktionieren bringen.
Die Seestadt ist für mich nicht komplett gescheitert. Ich glaube auch nicht, dass es zu viele Regeln gibt. Ich frage mich: Wo auf der Welt gibt es eine perfekt Stadterweiterung, die wirklich richtig Spaß macht?
Ich würde nicht sagen, dass der Fehler in der Regulierung per se liegt, eher in diesem funktionalistischen Nebeneinander im Straßenraum. Allein, wenn ich mir die Straßenbreiten anschaue ¬– die Straßen sind stellenweise einfach zu breit. Das heißt, es ist zu wenig los auf der Straße, es gibt nicht genug Aktivität, um den Raum zu füllen.
Wie klimafit muss eine Stadt der Zukunft sein angesichts der erwartbaren Veränderungen? Und wie kann sie es werden?
Solange Menschen in der Stadt leben, muss sie klimafit sein – alles andere wäre Zukunftsverweigerung. Dafür ist noch viel zu tun, aber ich bin optimistisch, dass wir das hinkriegen – wir haben keine andere Wahl. Die Maßnahmen sind hinlänglich bekannt – es braucht Bäume, Grün und Entsiegelung. Damit müssen sich auch gewohnte Bilder ändern – etwa, wie eine Fassade ausschaut. Oder die Oberfläche einer Straße. Zum Stadtklima der Zukunft gehören auch Frischluftschneisen, die kühle Luft aus der Umgebung der Städte ins Stadtgebiet bringen. Dafür braucht es das Planen über die Stadtgrenzen hinaus. Jede Veränderung hat natürlich Einfluss auf die Nutzungsmöglichkeiten. Wenn irgendwo ein Baum steht, kann man kein Auto mehr hinstellen, aber eine Bank darunter. Veränderung ist nicht friktionsfrei – damit einher geht ein Aushandlungsprozess, dem man sich stellen muss. Auch Konflikt ist Teil einer Stadt. Ich würde mir wünschen, dass alle mehr mitverhandeln, statt sich zurückzulehnen und sich hinterher aufzuregen.
Ich halte städtebauliche Einzugschneisen ebenso für ganz entscheidend. Da gibt es in Wien gerade heftige Diskussionen rund um den Westbahn-Park. Klimafit ist eine Stadt auch, wenn man im Sommer mit der U-Bahn schwimmen fahren kann, so wie in Wien – als Ausgleich zu einem heißen Arbeitstag. Bäume in den Straßen, Entsiegelung – das ist klar. Aber auch die Fassadenbegrünung wird wichtiger. Auch wenn ich weiß, dass viele Kollegen damit hadern. Aber wer einmal vor dem Bosco Verticale in Mailand gestanden ist, der merkt, dass das einen Impact hat. Und nicht zu vergessen sind auch die Dächer, auch diese eignen sich für intensive Begrünung – gerade in Wien.
Zur Frage klimafitte Stadt kann ich nur ebenso betonen, dass wir gar keine Wahl haben. Die Menschen werden zunehmend in der Stadt leben und jene am Land werden vereinsamen. Ganz einfach, weil diese nicht mehr strukturell bedient werden können. Schon von der Mobilität her – egal, ob man alt ist und ins Krankenhaus muss oder jung ist und in die Schule muss, das Leben am Land wird kein Modell mehr sein, das funktioniert. Dort stirbt man vor Langeweile. Ich bin ein Städter und ich finde alles, das weiter weg ist als 500 Meter von der U-Bahn, schon sehr verdächtig. Ich behaupte: Wir werden alle in Städten leben. Und die Räume werden zu Städten werden. Ich glaube an den Markt und an die Kräfte, die walten, und glaube, dass sich Städte noch kolossal verdichten werden – diese Verdichtung wird aufregend und qualitätsvoll sein, das ist die Zukunft. Daran glaube ich.
Eine Diskussion, die in einer idyllischen Kleinstadt wie Graz ganz schwer zu führen ist. Nach und nach verschwinden die Einfamilienhäuser im Stadtgebiet – auch weil die Grundstücke viel wert sind und dort dann Unterschiedliches entsteht. Das kann auch etwas Gutes sein. Aber einen generellen Transformationsprozess in einer Stadt wie Graz zu vollziehen, wäre, glaube ich, politisch schwer zu transportieren.
Ich glaube an den Markt – und der wird Fakten schaffen.
Aber schafft er auch Qualität? Man muss sich nur umschauen. Es wird baulich teilweise massiv verdichtet und an der Mobilität und in den öffentlichen Räumen, also am System Stadt, ändert sich trotzdem nichts. Allein durch verwertungsorientierte Verdichtung wird die Stadt weder gemeinschaftsfit noch klimafit. Das halte ich insgesamt für wenig zukunftsfit.
Fotos: Oliver Wolf
